Eine Menge Fachmagazine, Techniker und Fahrradfreunde beschäftigen sich mit nichts anderem als Mountainbikes. Was durchaus geht, weil der Markt sich Jahr für Jahr weiter auffächert und immer neue Technologien, Materialien und Theorien hinzukommen. Der Branche ist das sicherlich recht. Dass man vor Jahren auch die Frauen als Zielgruppe entdeckte, für die man anatomische Motive erfinden konnte, war aber so durchschlagend wie der Versuch, Damenschach als naturgegebenes Thema zu etablieren. Doch die Idee vom Unterschied zwischen Damen- und Herrenrädern hat sich nicht gänzlich in Nichts aufgelöst. In einigen Aspekten sind Damen-Mountainbikes noch immer unvergleichlich.
Frauenspezifisches Chassis?
Dabei kann man vergessen, dass es um
E-Mountainbikes oder einen geringerem Rollwiderstand geht, ein geringeres Gewicht oder einen einfacheren Durchstieg, womöglich mit Schwanenhals - oder im schlimmstensfalls um Räder, die der Dame wegen ihrer geschlechtsspezifisch geringeren Beinkraft schneller den Hügel hinaufhelfen. Noch nicht einmal kleinerer Rahmenhöhen,
26-Zöller statt
29-Zollräder, die
Hybridgröße 27,5 Zoll oder
Fullys statt
Hardtails führen auf die Spur, was Damen- von Herren-Mountainbikes unterscheidet. Auch der Versuch, ein eher gleichmäßig-weich zu fahrendes Damen- dem sportlich-aggressiven Männer-Mountainbike gegenüberzustellen, scheint kaum eines Kaufberaters würdig. Selbst die Hersteller können oft nicht so richtig erklären, wie das „Lady“ in der Modellbezeichnung zustande kommt - außer durch Behauptungen wie „frauenspezifisches Chassis“, maximale Kontrolle auf ruppigen Trails oder eine frauennahe, weil größere Farbauswahl. Dennoch: Manche Hersteller bieten Geometrien an, die unabhängig von der Rahmenform auf die weibliche Anatomie mehr Rücksicht nehmen als der Standard.
Mehr Komfort ist kein heikles Terrain
Dieses Hin und Her ließe sich beliebig fortsetzen, wobei sich Leichtlauf und verlässliche Schalt-Performance, ein ausgewogenes Gewichts-/Steifigkeitsverhältnis oder eine höhere Stabilität tatsächlich auf der Wunschliste vieler Bikerinnen ansiedeln ließen. Schon klarer wird der Sachverhalt bei der Radgeomtrie: Modelle mit stark abgesenktes Oberrohr können einem Damen-Mountainbikes das sportlich-gutmütige Handling mit viel Bewegungsfreiheit verleihen und bequemere Sattel ideal für alle sein, die auf längeren Touren entspannt pedalieren möchten. Interessanter wird es mit
Federgabeln, die sich auf das möglicherweise geringere Gewicht von Frauen abstimmen lassen - und auch Argumente wie eine nach Körpergröße in Geometrie und Dämpfung abgestimmte Auslegung und entsprechend längere oder kürzere Federwege präzisieren die Frauen-Idee schon eher. Bei allem Abwiegeln soll aber nicht verschwiegen werden, dass selbst sehr sportliche Mountainbikerinnen den höheren Komfort, die größere Laufruhe, den geringeren Rollwiderstand oder mehr Traktion und Grip für geröllige Abwärtstrails der 27,5-Zöller zu schätzen wissen – und den Frauen zugesprochenen 26-Zöllern vorziehen.
von
Sonja Leibinger
Fachredakteurin im Ressort Home & Life – bei Testberichte.de seit 2012.