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Fotostrecke

Wurfkamera: Ein Panoramabild aus der Luft

Foto: Panono

Panono Kugelige Wurfkamera liefert 360-Grad-Bilder

Sie werfen die Kamera in die Luft, wir machen den Rest: Nach diesem Motto funktioniert ein neues Kamerakonzept namens Panono. Der runde Ball ist gespickt mit 36 kleinen Fotochips, das Ergebnis sieht aus wie Google Street View.

Statt einen Auslöser zu drücken, wirft man die ballförmige Kamera einfach in die Luft. Am höchsten Punkt der Flugbahn löst dann ein Bewegungssensor automatisch ein Rundumfoto aus, zusammengesetzt aus 36 kleinen Handy-Kameras, die ähnlich wie das Facettenauge einer Fliege angeordnet sind und eine komplette Rundumsicht ermöglichen: Nach vorne, hinten, unten, oben, rechts und links. Und direkt unter der Kamera ist dabei natürlich immer der Fotograf selbst zu sehen, meist mit ausgebreiteten Armen, zum Auffangen der Rundumkamera.

Horizontale 360-Grad-Panoramen lassen sich mittlerweile mit vielen Smartphones halbautomatisch zusammenrechnen. Die Panono dagegen nennt sich "Die erste 360 x 360 Grad-Panoramakamera". Bei Schnappschüssen ist immer nur zu sehen, was sich vor dem Fotograf befindet", sagt Jonas Pfeil. "Unsere Wurfkamera dagegen fängt die gesamte Szene ein, ein bisschen wie Google Street View, aber aus der Luft." Google Air View sozusagen.

Pfeil hatte die eigenwillige Idee, als er während des Auslandsstudiums in Neuseeland die Insel Tonga besuchte. Überwältigt von deren Schönheit, wollte er mit einer herkömmlichen Kamera die gesamte Szene festhalten und dachte sich: Wäre es nicht einfacher, eine vollautomatische Rundumaufnahme zu machen! Damit war die Idee für seine Diplomarbeit an der Technischen Universität geboren. Er entwickelte einen Prototyp, der ursprünglich fast so groß war wie ein Handball und 750 Gramm schwer, umhüllt von grünen Schaumstoffplatten, um die Flugkamera zu schützen.

Foto aus der Wurfkamera: Funktioniert am besten, wenn es hell ist

Foto aus der Wurfkamera: Funktioniert am besten, wenn es hell ist

Foto: Jonas Pfeil/ panono.com

Im September 2012 bekam Pfeil für seinen Prototyp den IKT-Gründerpreis verliehen, dotiert mit 30.000 Euro. Über drei Millionen Mal wurde das Demo-Video zur Kamera auf YouTube in wenigen Tagen angeklickt. Gut ein Jahr später ist es nun soweit: Er bietet die Kamera im Internet zum Verkauf an, auf der Crowdfunding-Plattform Indiegogo . Der stolze Preis für Frühbucher: 499 Euro. Nach zwei Tagen waren bereits rund 150.000 Dollar zusammen, ein Sechstel der notwendigen Summe. Die Firma wird geleitet von drei Gründern, die sich von der TU kennen. Der ehemalige Leica-Manager Ralf Coenen berät sie bei der Logistik. Rund 1500 Kameras will Pfeil herstellen lassen.

Mittlerweile hat er seinen Prototyp auf den halben Durchmesser geschrumpft, das Gewicht auf rund 300 Gramm. Das gesamte Rohbild ist mit 72 Megapixeln gigantisch, zusammengesetzt aus 36 Kameras à zwei Megapixel. Die Software rechnet dann die Bilder zusammen, das Endresultat lässt sich an Handy, Tablet oder Rechner erkunden, indem man über das Bild wischt oder sich mit dem Handy um die eigene Achse dreht.

Die Panono-Wurfkamera vereint zwei Trends: Der eine ist das etwas schräge Hobby, herkömmliche Fotokameras zum Fotografieren in die Luft zu werfen, um sich überraschen zu lassen, was dabei herauskommt - und ob einem das Auffangen gelingt. "Camera Tossing"  heißt diese leichtsinnige Wegwerfkamera-Methode.

Der zweite Trend ist lang und ehrwürdig: Das Panoramabild, das seit dem 19. Jahrhundert ein Dauerbrenner ist und immer wieder Zuschauermassen in Ausstellungen von Yadegar Asisi  treibt. Robert Barker, einer der britischen Panorama-Pioniere, nannte den Effekt "la nature à coup d'oeil" - die Natur in einem Wimpernschlag. Auch der Maler David Hockney experimentiert mit Kameras , die gleichzeitig in verschiedene Richtungen blicken, um einen Rundumblick zu ermöglichen. Eine faszinierende Vorstellung, wie ein allsehendes Auge oder ein Janusgesicht gleichzeitig in alle Richtungen blicken zu können. "Panoptikum" nannte der britische Sozialreformer Jeremy Bentham dies Prinzip einst (und wollte es zur Überwachung von Gefängnissen einsetzen).

Schummerlicht ist nichts für die Panono

Der panoptische Blick, der bislang wohlhabenden Großkünstlern oder Googles Street-View-Kamera vorbehalten war, schrumpft nun ins Hobbyformat zusammen. Die Rundumkamera Theta der Firma Ricoh zum Beispiel verfügt über zwei Fisheye-Linsen: eine zeigt nach vorne, eine nach hinten. Auch wenn die Bildqualität zu wünschen übrig lässt, können mit der Theta tolle Landschaftsaufnahmen gelingen.

Ähnliche Schwächen scheint die panoptische Wurfkamera zu haben. Das fehlerfreie Zusammenrechnen der Bilder habe sich sehr verbessert seit 2011, "aber es gibt noch Arbeit", warnt Pfeil auf der Crowdfunding-Seite: "Wir haben vielleicht 70 Prozent unseres Ziels erreicht, noch brauchen die Bilder hier und dort manuelle Nachbearbeitungen." Und in Innenräumen und bei Schummerlicht rät er dazu, die Kamera auf einen Stock zu montieren und in die Luft zu halten, weil beim Werfen die Bilder verwackeln könnten.

Im Gegensatz zur Theta ermöglicht die Panono durch die Vogelperspektive tatsächlich sphärische Bilder, also 360 Grad horizontal und 360 Grad vertikal, weil sie nicht auf einem Stativ stehen muss, sondern in der Luft zu schweben scheint. "Angenommen ich bin mit Freunden am Strand, einer grillt, einer surft, einer spielt mit einem Drachen, dann kann ich die gesamte soziale Situation mit einem Wurf einfangen", schwärmt Pfeil. "Die Leute verkrampfen nicht so, sondern lachen oft, wenn sie sehen, dass ich die Ball-Kamera in die Luft werfe."

Wofür könnte die Wurfkamera taugen? Makler könnten mit einem Handstreich ein Atrium oder einen Innenhof dokumentieren. Polizisten könnten einen raschen Überblick über eine Demonstration festhalten. Schüler könnten ein Klassenfoto machen - all das natürlich nur als fotografische Ergänzung, nicht als Ersatz für herkömmliche Bilder. Denn die Qualität von Pfeils Wimpernschlag-Fotos ist noch unbefriedigend: verrauscht und teils skurril verzerrt. Für die Ansprüche der meisten Hobbyfotografen fehlt dem Kameraball noch die qualitative Bodenhaftung.

Fotostrecke

Ricoh Theta: Die 360-Grad-Kamera am Stiel

Foto: Konrad Lischka